Maibowle –
aber richtig!

Quantitative HPLC-Analyse von Cumarin in alkoholischen Waldmeisterextrakten

Dr. Brigitte Bollig, Shimadzu Europa GmbH

Wenn man das Internet nach Rezepten für Maibowle durchforstet, stößt man auf sehr unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Angaben dazu, wie lange man den Waldmeister im Wein ziehen lassen sollte. Dabei geht es darum, nicht zu viel des potenziell giftigen Cumarins, das in der Pflanze enthalten ist, in die Bowle zu extrahieren. Aber wie lange sollte man denn nun eine Extraktion von Waldmeisterblättern durchführen, damit man später keine gesundheitsschädliche Menge Cumarin, aber doch den charakteristischen Geschmack der fertigen Maibowle erhält? Dieser Frage wurde mittels HPLC-Analyse und Photodiodenarraydetektion nachgegangen.

Die Verwendung von Waldmeister in Maibowle ist in Deutschland eine beliebte Frühlingstradition, an die sich auch die Shimadzu LC-Produktmanagerin Dr. Gesa Schad kürzlich erinnerte. Als sie sich auf die Suche nach Maibowle-Rezepten machte, war ihr bewusst, dass Waldmeister das natürliche Aroma Cumarin enthält, das in hohen Dosen gesundheitsschädlich sein kann. Bei der Rezeptrecherche merkte sie aber: Es gibt bezüglich der empfohlenen „Extraktionsdauer“, also wie lange der getrocknete Waldmeister im Wein hängen darf, ohne dass man Gefahr läuft, die zulässigen Grenzwerte für Cumarin zu erreichen, große Unterschiede. An der einen Stelle fand sie eine maximal zulässige „Ziehzeit“ von 45 Minuten, während an anderer Stelle geschrieben stand, man solle die Pflanze im Wein „je nach gewünschter Geschmacksintensität 1–3 Stunden ziehen lassen“.[1–4] Was also tun, wenn man eine Bowle mit schönem Waldmeistergeschmack, aber ohne gefährlichen Cumarin-Gehalt herstellen möchte? Als Forscherin wollte Dr. Schad es jetzt genau wissen! Um eine wissenschaftlich fundierte Empfehlung geben zu können, war zunächst eine genaue Analyse des Cumarin-Gehalts in Waldmeisterextrakten mit unterschiedlicher Extraktionsdauer notwendig. Gesa Schads damaliger Kollege Robert Ludwig führte die Testreihe durch. Die Ergebnisse seiner quantitativen Bestimmung werden in diesem Artikel in Bezug auf die festgelegten Grenzwerte für Cumarin in Lebensmitteln genauer betrachtet, und abschließend werden die daraus folgenden Schlüsse für die sichere Zubereitung von Maibowle gezogen.

Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die gesetzlich zulässigen Höchstmengen von Cumarin in bestimmten zusammengesetzten Lebensmitteln, denen Aromen und/oder Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften zugesetzt worden sind (in solchen Lebensmittelzutaten und in Aromen ist Cumarin erlaubt, während Cumarin als solches Lebensmitteln nicht zugesetzt werden darf).

Zusammengesetzte Lebensmittel, in denen die Cumarin-Menge eingeschränkt ist

Cumarin-Höchstmenge (in mg/kg Lebensmittel)

Traditionelle und/oder saisonale Backwaren, bei denen Zimt in der Kennzeichnung angegeben ist

50

Frühstücksgetreideerzeugnisse einschließlich Müsli

20

Feine Backwaren außer traditionelle und/oder saisonale Backwaren, bei denen Zimt in der Kennzeichnung angegeben ist

15

Dessertspeisen

5

Tabelle 1: Erlaubte Höchstmengen an Cumarin in bestimmten Lebensmitteln[5]

Es gibt keinen definierten Grenzwert für Getränke, allerdings kann man zur Einschätzung der im Folgenden beschriebenen Ergebnisse die Überschreitung des TDI-Wertes (Tolerable Daily Intake) berücksichtigen.[6] Hierin wird eine tägliche Einnahme von 0,1 mg Cumarin pro Kilogramm Körpergewicht als unbedenklich eingeschätzt.

Gesa Schad erntete Waldmeister von einer kommerziell erhältlichen Pflanze  und trocknete die Pflanzenteile über Nacht. Anschließend wurden 3 g der abgeschnittenen Stängel mit einem Bindfaden zusammengebunden und zur Extraktion kopfüber in 90 ml Weißwein gehängt (ein in Rezepten übliches Verhältnis von Waldweister zu zunächst für die Extraktion verwendetem Wein), ohne dass die Schnittstellen in die Flüssigkeit eintauchten. Hiervon wurde nach verschiedenen Zeiten jeweils eine Probe entnommen, welche vor der Injektion in die HPLC (Hochleistungsflüssigkeitschromatographie) lediglich durch einen 0,45-µm-Filter gefiltert wurde. Robert Ludwig führte die HPLC-Methode auf einem Nexera XS System mit binären Pumpen und einem PDA-Detektor durch.

Die analytischen Bedingungen sind in Tabelle 2 aufgeführt.[7]

System:

Nexera XS

Säule:

Shim-pack™ GIST-HP C18 (150 mm × 3.0 mm I.D., 3 μm)

Flussrate:

0.8 mL/min

Mobile Phasen:

A) Wasser
B) Acetonitril

Zeitprogramm:

50 % B (0.00–2,00 min) → 60 % B (4,00 min)
→ 100 % B (4.01–5,00 min) → 50 % B (5,01–10,00 min)

Mischer:

180 μL

Säulentemperatur:

25 °C

Injektionsvolumen:

5 μL

Detektion (PDA):

Cumarin: 280 nm (SPD-M40)

Tabelle 2: Analytische Bedingungen
Abbildung 1: Kalibrierkurve von Cumarin-Standards (5, 10, 25, 50, 100, 200 mg/l)

Die verwendeten Standardkonzentrationen zum Erstellen der Kalibrierkurve in Abbildung 1 lauten 5, 10, 25, 50, 100, 200 mg/l und ergeben eine sehr gute Linearität von R2 > 0,99999.

Die gleichen analytischen Bedingungen wurden dann auch für die Analyse der Extrakte aus Waldmeisterblättern in Weißwein genommen, damit hier der Gehalt an Cumarin entsprechend bestimmt werden konnte.

Ein Chromatogramm des Extraktes nach 60 Minuten in Abbildung 3 zeigt eine sehr gute Trennung des Cumarins von den früher eluierenden Matrizes, welche neben dem Cumarin aus den Waldmeisterblättern extrahiert wurden und so nicht in den Standardmessungen (Abbildung 2) zu sehen sind.

Abbildung 2: Chromatogramm des 5-mg/l-Standards
Abbildung 3: Chromatogramm des Waldmeisterextraktes nach 60 Minuten

Zur Veranschaulichung des ermittelten Cumarin-Gehaltes in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Extraktionsdauer von 10, 30 und 60 Minuten sowie 5 und 20 Stunden (300 und 1.200 Minuten) wurden die beiden Graphen in den Abbildungen 4 und 5 erstellt. Hierin ist deutlich erkennbar, dass die Konzentration an Cumarin in der Probe über die gesamte Dauer des Experiments kontinuierlich ansteigt.

Extraktion von Cumarin aus Waldmeisterblättern

Abbildung 4: Extraktion von Cumarin aus Waldmeisterblättern in Zeiträumen von 10 bis 60 Minuten
Abbildung 5: Extraktion von Cumarin aus Waldmeisterblättern in Zeiträumen von 10 Minuten bis 20 Stunden

Tabelle 3 zeigt diese Ergebnisse der Bestimmung des Cumarin-Gehalts aus 3 g Waldmeister in 90 ml Weißwein in Abhängigkeit von der Extraktionsdauer (Spalten 2 und 3). Für eine ganze Flasche Wein, also 750 ml, würde man entsprechend etwa 25 g getrockneten Waldmeister verwenden (Spalte 4 zeigt hierfür den Cumarin-Gehalt). Diese eine Flasche Weißwein wird des Weiteren mit einer zweiten Flasche Weißwein und einer Flasche Sekt zur fertigen Bowle (2,25 l) verdünnt. Die letzte Spalte zeigt den Cumarin-Gehalt in einem Glas Bowle (250 ml) an.

Extraktionsdauer (min)

Cumarin (mg) in der Probe (umgerechnet auf 1 l)

Cumarin (mg) in der Probe (umgerechnet auf 1 ml)

Cumarin (mg) in 0,75 l Weißwein (gilt auch für 2,25 l fertige Bowle)

Cumarin (mg) in einem 250-ml-Glas der fertigen Bowle

10

0,238

0,000238

0,18

0,02

30

2,139

0,002139

1,60

0,18

60

6,163

0,006163

4,62

0,51

300

42,229

0,042229

31,67

3,52

1,200

82,966

0,082966

62,23

6,91

Tabelle 3: Ergebnisse der quantitativen Analyse von Cumarin in alkoholischem Waldmeisterextrakt und Hochrechnung auf eine typische Menge fertige Bowle

Die Schlussfolgerung, dass bei zu langer Ziehzeit eine gesundheitsschädliche Menge an Cumarin in der Bowle enthalten sein könnte, ist somit auf den ersten Blick durchaus berechtigt. Wenn man sich aber die absoluten Werte des Cumarin-Gehalts in der fertigen Bowle genauer ansieht (Spalte 5), dann fällt auf, dass erst bei einer Extraktion von 20 Stunden eine Menge von 6,9 mg in einem Glas Bowle erhalten wurde. Ausgehend von einem durchschnittlichen Erwachsenen mit 60–80 kg Körpergewicht liegt der Grenzwert von reinem Cumarin, welches man noch bedenkenlos konsumieren könnte, bei 6–8 mg.

Maibowle-Fans können aufatmen

Mit der HPLC wurde eine sehr zuverlässige analytische Methode angewandt, um die finale Konzentration von Cumarin in alkoholischen Waldmeisterextrakten zu bestimmen. Die Ergebnisse der Analyse zeigen einen deutlichen Anstieg der Cumarin-Konzentration in dem für die Extraktion verwendeten Weißwein über mehrere Stunden an, wobei eine für einen erwachsenen Menschen eventuell bedenkliche Konzentration in einem Glas erst nach mindestens 20 Stunden erreicht wird. Wenn man die Extraktionsdauer unter 5 Stunden belässt und die 2 Liter Bowle nicht allein trinkt, ist nicht mit gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen des Cumarins zu rechnen. Es sollte also eher der Geschmack und nicht die potenziell toxische Wirkung des Waldmeisters für die Länge der Einwirkzeit ausschlaggebend sein. Dabei ist zu beachten: Hängt der Waldmeister zu lange im Wein, wird die Bowle bitter. Einfach mal ausprobieren!

[1] https://www.chefkoch.de/rezepte/668471168850775/Maibowle.html

[2] https://www.lecker.de/klassische-maibowle-73524.html

[3] https://www.essen-und-trinken.de/rezepte/maibowle-rezept-12509104.html

[4] https://eatsmarter.de/lexikon/warenkunde/kraeuter/waldmeister

[5] Official Journal of the European Union. REGULATION (EC) No. 1334/2008 OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL dated December 16, 2008. https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:354:0034:0050:de:PDF

[6] European Food Safety Authority (EFSA) and German Federal Institute for Risk Assessment (BfR). https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_cumarin_in_zimt_und_anderen_lebensmitteln-8439.html

[7] Application News. 01-00233-EN. Iwata, N. https://www.shimadzu.com/an/sites/shimadzu.com.an/files/pim/pim_document_file/applications/application_note/14423/an_01-00233-en.pdf